„Den Boden lesen“
Archäologische Lehrgrabung im Römerkastell Waldmössingen in den Sommerferien

In den Sommerferien gibt es auf dem Freizeitgelände in Waldmössingen ein besonderes Highlight. Auf dem Gelände des ehemaligen Römerkastells findet bis Mitte September eine Lehrgrabung des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg und des Instituts für Provinzialrömische Archäologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau statt.
Schramberg-Waldmössingen. Archäologie live – mit der Chance, jeden Tag neue Fundstücke sehen und im Römerkastellmuseum von jungen Nachwuchsarchäologinnen und –archäologen vorgestellt zu bekommen.
Die Lehrgrabung steht unter der Leitung von Professor Alexander Heising und seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Lena Regetz vom Institut für Provinzialrömische Archäologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, von Andreas Thiel vom Referat Provinzialrömische, frühgeschichtliche, mittelalterliche und neuzeitliche Archäologie des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg und von Johann-Christoph Wulfmeier von der Außenstelle Rottweil des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg. Sie ist ein bedeutendes Ereignis in der Geschichte der Archäologie in Schramberg.

Römisches Erbe bewahren
In Waldmössingen setzt sie eine lange Grabungstradition fort, die bereits 1896/97 mit der „Reichslimeskommission“ begann. Die Lehrgrabung ist aber auch ein großer Erfolg der Ortsverwaltung Waldmössingen, in der sich Ortsvorsteher Rainer Ullrich beharrlich für das römische Erbe des ältesten Stadtteils von Schramberg einsetzt. Dies führte im Jahr 2024 auch zum Beitritt zum Verein Römerstraße Neckar-Alb-Aare. Dadurch wird diese Straße Richtung Schwarzwald ausgebaut.
Professor Heisig ist es ein wichtiges Anliegen, dass die Studentinnen und Studenten Archäologie nicht nur am Schreibtisch, sondern auch im Gelände lernen. Er möchte sie an den Boden heranführen. Sie sollen lernen, „den Boden zu lesen“, wie er beim ersten Spatenstich am Dienstag dieser Woche sagte. Elf Studentinnen und Studenten mehrerer Universitäten von Süd- bis Norddeutschland haben sich dazu in ihren Sommerferien in Waldmössingen eingefunden.

Ihre Unterkunft haben sie gleich neben ihrer Ausgrabungsstelle im Erlebnisbauernhof. Bei der Vorbereitung des Grabungsgeländes war das Team vom Bauhof Waldmössingen um Thomas Gaiselmann behilflich. Nicht überall werde man so willkommen geheißen und unterstützt, bedankte sich Heising. Er kann sich bereits vorstellen, auch im nächsten Jahr wieder mit einer Lehrgrabung nach Waldmössingen zu kommen.
Lange Geschichte der Grabungen in Waldmössingen
Das ehemalige Römerkastell in Waldmössingen – eines der wenigen später nicht überbauten Militärlager in Baden-Württemberg – wurde bis heute nicht vollständig ausgegraben. Die „Reichslimeskommission“ stellte 1896/97 bei den ersten Grabungen ein älteres Kastell aus Holz und ein späteres Kastell aus Stein fest.
Die letzte Grabung fand vor fünfzig Jahren durch die Bayerische Akademie der Wissenschaften statt. Im Anschluss an diese Grabung in der Südwestecke des Römerkastells hat der Förderverein für Heimatpflege Waldmössingen von 1975 bis 1980 einen Eckturm rekonstruiert. Das Vorbild ist das Saalburg-Museum in Hessen. Heute ist der Turm mit seiner prominenten Aussichtslage auf dem Schafbühle das Wahrzeichen von Waldmössingen.

Werkstatt eines Schuhmachers?
Die aktuelle Grabung nimmt einen Teilbereich des Römerkastells in den Blick, der 2016/17 durch eine geophysikalische Untersuchung mit punktuell ergänzenden elektronischen Widerstandsmessungen zu einem neuen Bild der Innenbebauung geführt hat. Dabei haben die Wissenschaftler im Bereich der „Praetentura“ ein für Militärlager dieser Art untypisches Gebäude festgestellt. Dieses Gebäude könnte verschiedene Funktionen gehabt haben: ein Verwaltungsgebäude, ein Getreidespeicher oder ein Werkstattgebäude (“Fabrica”).
Die Funde der ersten Grabungstage stützen die Vermutung, dass es sich um ein Werkstattgebäude handelt. Es kamen nämlich zahlreiche ungebrauchte Nägel für Sandalensohlen zum Vorschein – ein in dieser Art bisher über Waldmössingen hinaus recht seltener Fund.

Am Tag des ersten Spatenstichs haben die Nachwuchsarchäologen außerdem eine weitere Besonderheit gefunden: Ein kleines Penis-Amulett, das ein römischer Legionär als Glücksbringer bei sich getragen hat. Es erinnert daran, dass die römischen Waldmössinger offenbar eine besondere Beziehung zu den Liebesgöttern Amor und Venus hatten.

Info: Die Funde der Lehrgrabung können Interessierte von Montag bis Freitag von 10 bis 12 Uhr und von 13 bis 15 Uhr im Römerkastellturm besichtigen. Ein Student oder eine Studentin sind vor Ort und erläutern die Funde. Eine öffentliche und kostenlose Führung mit Dr. Johann-Christoph Wulfmeier findet am Mittwoch, 20. August, 15 Uhr, statt. Treffpunkt ist auf dem Grabungsgelände beim Römerkastellturm.

Foto: Carsten Kohlmann